C. Antes: Die vergessenen Briefsteller des 19. Jahrhunderts

Titel
Die vergessenen Briefsteller des 19. Jahrhunderts. Eine Bibliografie von 1800 bis 1880


Autor(en)
Antes, Carolin
Reihe
Werke – Welten – Wissen 14
Erschienen
Hannover 2016: Wehrhahn Verlag
Anzahl Seiten
139 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Louis-David Finkeldei, Universität Tübingen

Als eine besonders subjektive Quellengattung faszinieren Briefe nicht nur die Literatur-, sondern auch die Geschichtswissenschaft schon lange. In ihnen wird nicht nur Erlebtes verschriftet, sondern man erfährt auch viel über politische, soziale und wirtschaftliche Kontexte ihrer Verfasser/innen. Eine Sonderform stellen hierbei Briefsteller dar. Bei ihnen handelt es sich nicht um real verschickte Briefe, sondern um Anleitungen, wie man zu einer bestimmten Zeit bestimmten gesellschaftlichen Konventionen angemessene Schreiben verfasste. Sie liegen damit an einer spannenden Schnittstelle zwischen Brief- und Ratgeberforschung.

Das von Carolin Antes vorgelegte Buch „Die vergessenen Briefsteller des 19. Jahrhunderts. Eine Bibliografie von 1800 bis 1880“ möchte sich Briefstellern in buchwissenschaftlicher Weise nähern. Ziel der Arbeit ist es, die bibliografisch bisher nicht erfassten Briefsteller des 19. Jahrhunderts zusammenzutragen sowie eine Einführung in dieses Genre und in ihren historischen Kontext zu geben. Das Buch umfasst fünf Teile: ein Vorwort des Buchwissenschaftlers David Oels, zwei Aufsätze von Carolin Antes, die Bibliografie mit einem chronologischen Verzeichnis und ein Erfahrungsbericht des Büchersammlers Erwin Kreim. Den Anlass für die Publikation bot die Schenkung einer Briefsteller-Sammlung durch den Büchersammler Erwin Kreim an das Gutenberg-Museum in Mainz. Begründet wird das Vorhaben mit einer Lücke in der bibliografischen Erfassung von Briefstellern zwischen dem Werk von Reinhard Nickisch1, das mit dem Jahr 1800 endet, und jenem von Susanne Ettl2, das erst 1880 beginnt.

Das Vorwort von David Oels kann als Einleitung angesehen werden. Oels umreißt hierin nicht nur das Ziel des Buches, Briefsteller in buchwissenschaftlicher Herangehensweise betrachten zu wollen, „ohne vorab bestimmte Nutzungsformen zu präjudizieren“ (S. 8), sondern wirft auch anregende Fragen auf, die sich an die Briefsteller richten lassen. Hierbei verweist Oels auf unterschiedliche mögliche Lesarten von Briefstellern. Ausgehend davon betont er die Bedeutung von Bibliografien und intensivem bibliografischen Arbeiten im digitalen Zeitalter. So zeigten sich Uneindeutigkeiten und Abweichungen bei Auflagenzählungen, Überarbeitungen, Erscheinungsweise, Umfang usw. erst bei der genauen bibliografischen Erfassung (S. 9).

Dem Vorwort folgt ein erster Aufsatz von Carolin Antes zu den „vergessenen Briefstellern des 19. Jahrhunderts“. In ihm umreißt sie nicht nur den Stand der Briefstellerforschung, sondern liefert auch einen Abriss der deutschen Geschichte. Den Verlauf des 19. Jahrhunderts interpretiert sie hierbei als permanente Unterdrückung einer deutschen Nationalbewegung, die auch die kulturelle Entfaltung Deutschlands hinderte. So ließ die „Vielstaaterei […] die Entfaltung einer geistigen-kulturellen Metropole nicht zu, sodass zahlreiche Kulturzentren an geographisch nicht sonderlich bedeutenden Orten entstanden […]“ (S. 19). Ausgehend von der These, dass diese „Vielstaaterei“ den Schriftverkehr verstärkte, misst sie den Briefstellern eine besonders große Bedeutung für die Erforschung des Bürgertums bei. Da „Korrespondenzen des gemeinen Bürgertums […] im Gegensatz zu Korrespondenzen wichtiger Persönlichkeiten kaum erhalten“ seien, geht sie davon aus, dass „Kenntnisse über den unbedeutenden, alltäglichen Privat- und Geschäftsbrief […] sich nur mittelbar gewinnen [lassen], nämlich durch die in den Briefstellern enthaltenen Musterbriefsammlungen“ (ebd.). Daraus schließt sie, dass „Musterbriefe […] die soziale Wirklichkeit“ repräsentieren. Ausgehend von dieser These stellt sie verschiedene Aspekte des alltäglichen Briefeschreibens dar, die sich angeblich aus den Musterbriefen ablesen lassen und schließt daraus, dass Briefsteller im Hinblick auf die gesellschaftliche Praxis des Briefeschreibens als „Medium eines Zivilisationsprozesses“ (S. 20) angesehen werden können.

In ihrem zweiten Aufsatz beschäftigt sich Antes mit der Frage, ob Briefsteller im 19. Jahrhundert „cash cows“ der Verlage waren. Entgegen Reinhard Nickischs Behauptung, dass mit dem Ende des 18. Jahrhunderts auch die Zeit der Briefsteller abgelaufen sei, vertritt Antes die These, dass das Genre der Briefsteller auch im 19. Jahrhundert weiterhin großen Erfolg gehabt habe. Dies belegt Antes erstens mit den hohen Auflagenzahlen, mit denen viele Verlage in ihren Annoncen warben. Als zweiten Grund für die stets hohe Popularität von Briefstellern nennt sie die vermeintlich mangelnde Bildung des Bürgertums im 19. Jahrhundert. „Da unter diesem [dem Bürgertum] nicht jeder ein Genie sein konnte, der mit Natürlichkeit und Originalität ausgestattet war, gab es die Briefsteller weiterhin“ (S. 29).

Den Aufsätzen folgt die nach Autoren alphabetisch sortierte Bibliografie. Sie umfasst insgesamt 258 Titel und ist damit sehr umfangreich. Briefsteller ohne Verfasserangaben stellt Antes ans Ende der Bibliografie. Zur besseren Recherche wird die Bibliografie erstens durch ein chronologisches Verzeichnis der Titel, das auch eine Durchsicht nach Jahren ermöglicht, und zweitens durch eine Übersicht der Briefsteller-Bibliografien des deutschsprachigen Raumes ergänzt. Ausgangspunkte der Bibliografie stellen erstens die von Erwin Kreim gestiftete Sammlung und zweitens seine Such-Kartei dar. Diese Sammlung vervollständigte Carolin Antes drittens durch eine Suche im Karlsruher virtuellen Katalog (KVK). Bis auf wenige Ausnahmen sind die Angaben zu den Werken meist vollständig und durch eine übersichtliche Sortierung auch gut recherchierbar. So finden sich neben Angaben zur Seitenanzahl und zum Format auch Verweise zu weiteren Auflagen sowie zu Exemplaren, die in der Sammlung Erwin Kreims vorhanden sind. Zu einigen Briefstellern wird auch auf bereits digital verfügbare Exemplare verwiesen.

Abgeschlossen wird das Buch von einem Erfahrungsbericht des Sammlers und Initiators der Bibliografie Erwin Kreim. In seinem mehrseitigen Bericht reflektiert Kreim über das Sammeln von Büchern und wie das „Internetzeitalter“ nicht nur die Suche, sondern den gesamten antiquarischen Buchmarkt verändert habe. Kreims Bericht gibt dabei tiefe Einblicke in die Recherchemethoden eines Büchersammlers und wie sich diese durch die Möglichkeiten der Internetrecherche verändert haben.

Sowohl die Idee einer bibliografischen Erschließung der Briefsteller des 19. Jahrhunderts als auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Literaturgattung erscheinen grundsätzlich lobenswert. Die von Oels angekündigte Auseinandersetzung mit verschiedenen Lesarten von Briefstellern ist in Antes Beiträgen jedoch nur bedingt wiederzufinden. Die Aufsätze vermitteln – ohne Bezüge zu neueren Forschungen zur deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts herzustellen – ein zu hinterfragendes Geschichtsbild, das sich auch in der sprachlichen Ausdrucksweise niederschlägt. Die Ausführungen zum Quellenwert sind sicherlich noch zu differenzieren. Ein Bezug zu den aktuellen Diskussionen der weiteren Brief- und Ratgeberforschung wäre hier sicher hilfreich gewesen. Im Gegensatz zu den Aufsätzen erweist sich die Bibliografie als solide. Auch wenn man bei einer Bibliografie eine intensivere Auseinandersetzung mit den materiell überlieferten Exemplaren erwarten könnte, ist die von Carolin Antes angefertigte Bibliografie mit über 250 zusammengetragenen Titeln bemerkenswert und erfüllt ihren Zweck als Hilfsmittel zur bibliografischen Recherche. Es bleibt festzuhalten, dass Carolin Antes eine brauchbare Bibliografie vorlegt, die die bibliografische Erschließung von Briefstellern für den deutschsprachigen Raum nun weitestgehend abschließt.

Anmerkungen:
1 Reinherd M. G. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre (1474–1800), Göttingen 1969.
2 Susanne Ettl, Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation. Briefsteller von 1880 bis 1980, Tübingen 1984.

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